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6. Internationaler Tag der Provenienzforschung am 10. April 2024

5 Fragen an MMag. Stefan Kurz, Provenienzforscher des HGM/MHI
Die immer noch recht junge Forschungscommunity der Provenienzforschung hat sich zum Ziel gesetzt, die Herkunft von Museumsobjekten (nicht nur) in öffentlichen Einrichtungen zu beleuchten. Der Aktionstag findet seit 2019 einmal jährlich am zweiten Mittwoch im April statt. Aus diesem Anlass möchten wir genaueres Augenmerk auf die gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz der Forschung zur Herkunft von Museumsobjekten legen und haben MMag. Stefan Kurz, seit 2015 Forscher im HGM/MHI und seit 2020 mit der Provenienzforschung betraut, gebeten uns einige Einblicke in seine Forschungsarbeit zu geben.

Lieber Stefan, du bist in einem Forschungsbereich tätig, der für gewöhnlich für die Besucherinnen und Besucher des Museums nicht gleich wahrnehmbar ist, da er hinter den Kulissen der kuratorischen bwz. Ausstellungsarbeit liegt. Wie würdest du einem breiten Publikum deine Tätigkeit beschreiben?

Sich damit zu befassen, wie Objekte in eine Museumssammlung gekommen sind und wem sie früher gehört haben, gehört immer schon zu den grundlegenden Aufgaben jedes wissenschaftlichen Museums und ist ein Teil der Beforschung der eigenen Sammlung. Mittlerweile hat sich ein eigenes Forschungsfeld herausgebildet, in welchem ein besonderes Augenmerk auf Objektprovenienzen mit Bezug zu unrechtmäßigen Aneignungsprozessen liegt, etwa im Kontext des Kolonialismus oder aufgrund von Verfolgung und Vermögensentzug im Nationalsozialismus. Meine Aufgaben im Zusammenhang mit der Provenienzforschung liegen vorrangig auf dem letztgenannten Gebiet, also in der NS-Provenienzforschung. Auf der praktischen Ebene bedeutet dies, dass ich mich einerseits auf Grundlagen historischer Quellen mit der Sammeltätigkeit und den Erwerbungen des Heeresgeschichtlichen Museums und seinem Vorgänger, dem Heeresmuseum, befassen muss. Andererseits ist aber auch die biografische Forschung in Hinblick auf die früheren Eigentümerinnen und Eigentümer unabdingbar. Besonders wichtig ist bei dieser Tätigkeit eine genaue Arbeitsweise und ein Blick für die Details, schließlich sind die relevanten Quellen oft sehr verstreut und ähnelt die Rekonstruktion biografischer Zusammenhänge mitunter dem Aufspüren von Puzzlestücken.

Das HGM/MHI beteiligt sich seit der Verabschiedung des Kunstrückgabegesetzes (BGBl. I Nr. 181/1998 , Novelle BGBl. I Nr. 158/2023) auch an der Arbeit der Kommission für Provenienzforschung. Wie gestaltet sich hier deine Rolle bzw. die Rolle des HGM/MHI  in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen?

Das Kunstrückgabegesetz sieht im Kern vor, dass alle Sammlungen in Bundeseigentum für sämtliche Objekte, die vor 1945 entstanden sind und die seit 1933 erworben wurden, eigeninitiativ und ohne auf einen Anstoß von außen zu warten, prüfen müssen, ob ein Zusammenhang mit Vermögensentzug in der Zeit des Nationalsozialismus besteht. Ergibt sich ein diesbezügliches Verdachtsmoment, so ist ein ausführlicher, als „Dossier“ bezeichneter, wissenschaftlicher Bericht zu den betreffenden Erwerbungen zu erstellen, der neben dem Ablauf der Aufnahme eines Objektes in die Sammlung auch einen Nachweis darüber enthalten muss, ob die Voreigentümerin oder der Voreigentümer der Verfolgung durch den Nationalsozialismus ausgesetzt war. Diese Berichte werden anschließend der Kommission für Provenienzforschung vorgelegt, in welcher alle Provenienzforscherinnen und Provenienzforscher der einzelnen Bundessammlungen vertreten sind. Die Kommission ermöglicht gegenseitigen professionellen Austausch und Hilfestellung, vor allem aber prüfen die Leiterin der Kommission, Dr.in Pia Schölnberger, und die wissenschaftliche Koordinatorin, Assoz. Univ.-Prof.in Dr.in Birgit Kirchmayr, die Inhalte der Berichte und sorgen so für die Einhaltung der erforderlichen Qualitätsstandards. Erst wenn ein Bericht den Anforderungen der Kommission genügt, wird ein potentieller Restitutionsfall dem sogenannten Kunstrückgabebeirat zur Entscheidung vorgelegt. Dieses Gremium spricht schließlich eine Empfehlung für oder gegen eine Rückgabe aus. Anschließend entscheidet der zuständige Bundesminister bzw. die zuständige Bundesministerin über die Restitution. Die Kommission für Provenienzforschung spielt in der anschließend erforderlichen Ermittlung von Erbinnen und Erben ebenfalls eine zentrale Rolle. Auch in dieser Phase ist die enge Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen dem HGM/MHI, dem BMLV und der Kommission für Provenienzforschung unabdingbar.  

Der Tag der Provenienzforschung widmet sich schwerpunktmäßig unter anderem Themen des NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, einem speziellen Feld von Herkunftsforschung. Vor kurzem, nämlich am 27. März 2024, konnten das HGM/MHI in guter Zusammenarbeit mit der Kommission für Provenienzforschung und der Israelitischen Kultusgemeinde Wien erfolgreich einen großen Restitutionsfall abschließen. Im Fall Saul Juer wurden unglaubliche 560 Objekte an die aus den USA angereisten Erben zurückgegeben. Dies war nur durch die proaktive Recherche seitens des HGM/MHI möglich. Wie bist du denn auf diesen Fall gestoßen und mit welchen Methoden konnte die Restitution zur Umsetzung gebracht werden?

Für das HGM/MHI war die Restitution im Fall Saul Juer tatsächlich etwas Besonderes. Dies liegt einerseits am großen Umfang des betroffenen Konvolutes, andererseits aber auch daran, dass bislang noch kein anderes Museum mit Erwerbungen aus der Sammlung Saul Juer befasst war. In diesem Fall war das HGM/MHI also die erste Sammlung, die an die Erb:innen Objekte restituiert hat. Aufmerksam auf einen möglichen Verdachtsmoment wurde ich bereits im Jahr 2021 im Rahmen der systematischen Provenienzforschung. Ankäufe von Privatpersonen im Zeitraum der NS-Herrschaft bieten, sofern nicht andere Bezüge vermerkt sind, immer einen Anlass sich den jeweiligen Vorgang näher anzusehen. Unabhängig davon wurde etwa zur gleichen Zeit auch der Leiter der Kunstsammlung, nach einem museumsinternen Workshop zur Provenienzforschung, auf die Erwerbungen von Juer als möglichen Verdachtsfall aufmerksam. Mit der vertiefenden Erforschung des Falles begann ich dann im Frühjahr 2022. Den Ablauf der Erwerbung selbst konnte ich aufgrund der im Museum selbst erhalten gebliebenen Erwerbungsakten glücklicherweise relativ unkompliziert rekonstruieren. Größere Schwierigkeiten bereitete die abschließende Zusammenstellung der Liste aller historisch betroffen gewesenen Objekte. Äußerst gefordert waren dann auch die Kolleginnen aus der Grafiksammlung, welche mit großem Aufwand und Einsatz bemüht waren, alle in den Akten und Inventarbüchern genannten Objekte aufzuspüren. Für mich selbst aufwendig gestaltete sich jedoch die Rekonstruktion des biografischen Hintergrundes des Verfolgten Voreigentümers der Objekte, Saul Juer. Zentral waren dazu die in den Akten der Vermögensverkehrsstelle und der Restitutionsakten im Österreichischen Staatsarchiv aufbewahren Unterlagen. Wichtig waren aber ebenso Quellen im Wiener Stadt- und Landesarchiv, etwa Melderegisterauszug, Handelsregister, Trauungs- und Geburtsbücher und Todeserklärungsakt. Ergänzende Informationen boten etwa Unterlagen aus dem Arolsen Archives zur Deportation Juers nach Auschwitz sowie Handbücher und Literatur. 

Vielen Dank für diese sehr interessanten und auch spannenden Einblicke in deine Arbeit! Was macht für dich denn die gesellschaftliche Relevanz dieses speziellen Forschungsbereiches in einem Museum aus?

Das Kunstrückgabegesetz wurde 1998 geschaffen, um sich jahrzehntealtem Unrecht konsequent, aufrichtig und umfassend zu stellen und einer moralischen Verpflichtung nachzukommen, obwohl die Republik Österreich sich aus juristischer Perspektive bereits als rechtmäßige Eigentümerin der betreffenden Objekte betrachten konnte. Diese Funktion erfüllt die Provenienzforschung auch weiterhin. Für nicht wenige Nachkommen der Verfolgten ist eine Restitution ein symbolisch wichtiger Akt.

Zum Abschluss noch eine Frage an dich persönlich, von allen bislang von dir untersuchten Fällen, gibt es einen, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist und warum? Gibt es einen Aspekt in deinem Forschungsbereich, welcher dir besonders interessant erscheint?

In wissenschaftlicher Hinsicht sind in der biografischen Forschung im Rahmen der Provenienzforschung die Fülle an Bezügen die sich jeweils auftun und die Herausforderung interessant, zunächst von wenigen Hinweisen ausgehend, eine Biographie in gewissen Grundzügen zu rekonstruieren. Spezielle Bedeutung hat für mich sicherlich der schon erwähnte Fall Juer. Das nicht nur wegen der bereits erwähnten Merkmale, sondern vor allem auch, weil es berührend und schön zu sehen war, was die Recherchen zu Saul Juer und seinem Schicksal für dessen Enkel und dessen Familie bedeuteten. Dies hat mir sehr deutlich vor Augen geführt, dass in solchen Zusammenhängen die Aufarbeitung von Geschichte keine Floskel ist, sondern wirklich ganz konkret im Leben betroffener Nachkommen verfolgter Personen einen Unterschied macht. Allerdings hat jeder Restitutionsfall seine Besonderheiten. Im Fall Hanns Fischl, hat mich beispielsweise die Rekonstruktion zahlreicher biografischer Details sehr beschäftigt und die Vielschichtigkeit der so zu Tage tretenden Persönlichkeit und dessen besonders tragisches Schicksal großen Eindruck gemacht. In diesem Fall war übrigens die enge Zusammenarbeit mit mehreren Kolleginnen und Kollegen aus allen Sammlungsbereichen des Museums besonders wichtig. Ohne deren Engagement wäre ich auf manche Objekte nicht gestoßen, die in den Akten nicht erwähnt wurden und in den Inventarbüchern nur an abgelegener Stelle genannt werden. Dies war insbesondere in der Fotosammlung der Fall.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Sonja Prendinger, BA (HGM/MHI Marketing).

https://www.hgm.at/museum/entdecken/provenienzforschung

https://www.lexikon-provenienzforschung.org/juer-saul, https://provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Juer_Saul_2022-11-29.pdf

https://www.lexikon-provenienzforschung.org/fischl-hanns, https://provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Fischl_Hanns_2021-11-05.pdf

https://www.derstandard.at/story/3000000213572/rueckgabe-von-560-objekten-aus-dem-hgm-im-restitutionsfall-saul-juer

© HGM/MHI Sonja Prendinger; Fotos vom Restitutionsfall Saul Juer. Anwesende: Mathias LICHTENWAGNER (IKG Wien), Stephen GLAUBER (Enkel von Juer) und Familie, Claudia REICHL-HAM (Leiterin Forschung/HGM), Pia SCHÖLNBERGER (Leiterin Kommission Provenienzforschung), Stefan KURZ (Forscher HGM), Anna-Elisabeth WEINBERGER (Restauratorin HGM), Christiana RIEDER (Restauratorin HGM).

Ölgemälde eines anonymen Künstlers: Portrait eines unbekannten Militärbeamten im Generalsrang, undatiert

Kupferstich, herausgegeben von Anton Leitner: Napoleons Landung auf Elba, undatiert.

Kupferstich von Daniel Fres: Ansicht auf die Stadt Bardewick, 1588